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Rena & Oma Käthe:

„Sie backt für die Enkel vegane Plätzchen in Schweinchenform”


„Bei Oma schmeckt’s am besten“ – was für eine ausgelutschte Phrase! Inflationär verwendet auf Seiten wie Chefkoch.de oder auf in Comic Sans bedruckten Küchenschürzen, die man einen Tag vor Weihnachten auf Amazon bestellt. Außerdem ist der Satz in meiner Familie nicht ganz wahr. Das liegt allerdings nicht an meiner Oma, die wirklich sehr lecker kocht, sondern an ihren linksalternativen Nachkommen, die in den letzten Jahren fast alle von einer vegetarisch-veganen Welle erfasst wurden. Und seitdem Omas krustigen Braten verschmähen. Trotzdem oder gerade deswegen erzähle ich die Geschichte von meiner Oma und mir anhand von Essen. Unsere Verbindung, über zwei Generationen und 56 Jahre hinweg, ist stark damit verwoben.

Hey Nana - Rena & Oma Käthe

Meine Oma ist Bäuerin. So ist sie aufgewachsen, so ist sie bis heute. Ohne ihren Gemüsegarten und ihre Handvoll alten Hühner geht es nicht. Als Kind und Jugendliche war ich damit aufgrund diverser Umstände wenig in Berührung gekommen, doch das sollte sich im Erwachsenenleben ändern: Das erste Mal arbeiteten wir zusammen auf ihrem kleinen Kartoffelfeld, als ich nach meinem Masterabschluss leicht orientierungslos bei ihr und meinem im selben Haus wohnenden Papa strandete. Mein entschleunigter Alltag lief wie folgt ab: Vormittags Kartoffelkäfer und Larven klauben, nachmittags Bewerbungen schreiben. Na ja, oder so ähnlich. Weder dauerte die Käferaktion den ganzen Vormittag, noch bewarb ich mich die vollen restlichen Stunden des Tages. Aber reden mit Oma, das tat ich in der Zeit so viel wie nie zuvor. Über ihre Flucht aus Siebenbürgen im Alter von zehn Jahren, die sie bis heute stark bewegt. Über die Liebe früher und heute. Über Sexualaufklärung…

Immer wieder erinnert sie mich in unseren Gesprächen an unsere gemeinsame Saison des Kartoffelkäferklaubens. Jeden Frühling seitdem – in den Folgejahren saß ich immer in einer anderen Stadt oder gar am anderen Ende der Welt – vermisst sie mich zwischen ihren Kartoffelpflanzen. Und ich sie – egal, wo ich bin.

Als zu jener Kartoffelzeit einige Bewerbungen erfolglos blieben, sagte mir Oma mit einem verschmitzten Grinsen, ich könne mich ja auch an einer Haushaltsschule einschreiben. Google verriet: So was gibt’s tatsächlich. Unterrichtsthemen sind zum Beispiel Familienmanagement, Gestecke und Kränze, Pflege des bäuerlichen Brauchtums. Das klang so altmodisch, dass ich es fast schon wieder gewagt gefunden hätte, daran teilzunehmen. Doch natürlich war es das Gegenteil von allem, was ich sonst mit Mitte 20 veranstaltete: Master in England, Reisen durch Lateinamerika, frisch verliebt in einen Kolumbianer. Dass Oma das alles auch nicht ganz verkehrt fand, merkte ich an ihren Fragen und den sämtlichen aufbewahrten Postkarten von mir an ihrem Vitrinenschrank. 

Mehr als mich in eine konservative Vorstellung zu pressen, wollte mich meine Oma vermutlich einfach ein bisschen aufziehen. Sie ist nämlich nicht nur eine Meisterin in Zubereitung von Braten, sondern auch in dem, was man im Internetdeutsch roasten nennt. Meine Geschwister und ich kriegen ihren Humor immer wieder ab – mal knallhart, mal subtil. Als mein Bruder Veganer wurde, stand Oma vor einer unerwarteten Herausforderung beim alljährlichen Plätzchenbacken. Den Enkel ohne Plätzchen gehen lassen? Undenkbar. Sie lernte kurzerhand, mit damals knapp 80, ein veganes Rezept. Und stach den Teig „ganz zufällig“ in Form von Schweineköpfen aus.

Damit war sichergestellt: Die Nachfrage an ihren Plätzchen würde nie sinken. Seit einigen Jahren erzählt sie mir Herbst für Herbst: „I glaub, dieses Jahr mach i koane mehr”. Kurz vor Weihnachten ist ihre Speisekammer jedes Mal voll mit einer Vielzahl großer Schüsseln. Darin: Marmeladenplätzchen, Vanillekipferl, Nussmakronen. Und die vegane Sonderversion. Was bleibt ihr auch übrig? Zwar hat sie sich letzten Advent als erfahrene Teleshopperin das Plätzchen-Set irgendeines Fürsten auf QVC bestellt, dann aber ein hartes Urteil gefällt. „Des wor nix Gscheids. Da schmeckn meine doppelt so gut. Oder zehnmal so gut!” 
Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Außer an dem Tag, an dem sie die Zimt- mit der Chilidose verwechselte und der Geschmack etwas… anders ausfiel.

Auf der entsprechenden Schüssel stand dann in ihrer geschwungenen, leicht zittrigen Schreibschrift: scharfe Plätzchen.

Als ich eineinhalb Jahre nach der Kartoffelzeit beschloss, meinen inzwischen angetretenen Vollzeitjob in Berlin wieder zu kündigen, um in Kolumbien meine große Liebe zu heiraten und vorerst dort zu bleiben, war von Omas Sticheleien Richtung Haushaltsschule kein Hauch mehr zu spüren. Stattdessen war sie erschrocken. Sie fragte: „Jetzt ziehst du da hin und bist einfach… Ehefrau?“ 

Eigentlich weiß ich, dass meine Oma es gut findet, dass ich mein Ding mache. Einmal verriet sie mir, eine Ausbildung als Friseurin oder Schneiderin hätte sie, die viel Wert auf Mode und Stil legt, sehr interessiert. Stattdessen musste sie früh als Magd auf Bauernhöfen anheuern. Ich versicherte ihr, dass ich auch in Kolumbien Arbeit und Projekte haben würde und mein Partner und ich uns die Arbeit gleichberechtigt aufteilen. Das schien sie zu beruhigen.

Letztlich ist Oma auf ihre Art Feministin, auch wenn sie es vielleicht nicht so nennt

Sie versteht nicht immer, was wir Enkelinnen und Enkel machen, aber sie steht hinter uns. Sie ist selbstbewusst, schlagfertig und lässt sich definitiv keinen Mist erzählen. Mit 87 fährt sie mit ihrem feuerroten Auto durch die Gegend. Den Heckaufkleber der Vorbesitzenden hat sie dran gelassen. Darauf steht, das O mit Teufelshörnern geschmückt: H O T.

Meine Ehe wurde so glücklich, wie ich gewusst und meine Oma gehofft hatte. Seit sie meinen Mann näher kennengelernt hat, behandelt sie ihn wie ihren eigenen Enkel – und er liebt seine „Oma“. Als wir diesen Januar zurück nach Deutschland zogen, war die Besuchslage durch die Pandemie erschwert. Doch immerhin: An ihrem 87. Geburtstag hatte sie die erste Corona-Impfung und wir zwei PCR-Tests hinter uns. So konnten wir kurz mit Maske ihr Geschenk übergeben. Keine geschmacklose Schürze, sondern etwas, das ihrer Eleganz würdig ist: Smaragd-Ohrringe aus Kolumbien. Sie trägt sie seitdem täglich.

Diese OMAge stammt von Rena Föhr, sie ist Gründerin von CHICA CON CICLO, einem Online-Angebot rund um Zyklusgesundheit. Durch journalistischen Content, Coachings und Onlinekurse wird dort die systematische Körperbeobachtung von Zervixschleim, Aufwachtemperatur und weiteren Zykluszeichen vermittelt. Ziel ist, körperliche und emotionale Schwankungen zu verstehen und dadurch das Wohlbefinden zu steigern. Auch über die Menstruation hat Rena bereits mit ihrer Großmutter gesprochen. Diese Erfahrungen im Internet für alle lesbar zu machen, war Oma Käthe aber leider zu suspekt. Was die Enkelin natürlich respektiert.