Naya & Oma Marianne: Vielleicht ist sie die erste Frau, die sich mit Mitte 70 ein Tattoo stechen ließ?
Naya & Oma Marianne:
„Vielleicht ist sie die erste Frau, die sich mit Mitte 70 ein Tattoo stechen ließ?“
Die meisten Großmütter wünschen sich ja, dass ihre Enkel*innen sie regelmäßig anrufen. Bei uns ist es andersrum. Ich warte jeden Sonntag auf den Anruf meiner Omi. Ich habe den angeordnet und wenn sie mal nicht anruft, bin ich erst besorgt und dann – wenn nichts Besonderes ist – beleidigt wie ein kleines Mädchen.
„Meine Omi hat kein Ablaufdatum, sie ist unsterblich“ heißt es in dem cheesy Rap-Schlager, den ich damals für sie aufnahm und ihr in Form einer aufwändig gestalteten Maxi-CD zum 70. Geburtstag schenkte. Meine Omi tanzt gern, sie singt gerne und sie mag es heiter und lustig. Manchmal, wenn sie traurig ist, geht sie ins Wohnzimmer und schiebt die CD mit dem Song in die alte Anlage. Er macht sie wieder fröhlich. Das habe ich mir gewünscht, als ich ihr dieses Geschenk machte. Ich möchte, dass sie viel zu lachen hat. Und dafür mach ich gerne albernes Zeug.
Großeltern versetzen ihre Enkel*innen oft ungewollt in eine Art nostalgischer Infantilität. „Bei meinem Opa werde ich jedes Mal wieder zur kleinen Pipi Langstrumpf“, sagte letztens eine Bekannte zu mir. Und ich kann das sehr gut nachvollziehen. Vielleicht hat meine Oma auch deshalb kein Ablaufdatum. Mein Pipi Langstrumpf-Ich will immer noch nicht daran glauben, dass sie schon bald nicht mehr da sein kann. Und tatsächlich macht mir nichts mehr Angst.
Großeltern versetzen ihre Enkel*innen oft ungewollt in eine Art nostalgischer Infantilität. „Bei meinem Opa werde ich jedes Mal wieder zur kleinen Pipi Langstrumpf“, sagte letztens eine Bekannte zu mir. Und ich kann das sehr gut nachvollziehen. Vielleicht hat meine Oma auch deshalb kein Ablaufdatum. Mein Pipi Langstrumpf-Ich will immer noch nicht daran glauben, dass sie schon bald nicht mehr da sein kann. Und tatsächlich macht mir nichts mehr Angst.
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Ich bin ein Omi-Opi-Kind. Meine Großeltern haben mich mit großgezogen, da meine Eltern noch sehr jung waren.
ie haben alles mit und für meine drei Geschwister und mich getan. Ich nenne es den „Enkel-Luxus“. Und dabei geht es nicht um die aufwendig versteckten 5-Euro-Scheine in Obstkisten oder hinter Rubbellosen und auch nicht um die „Dulli-Kiste“, gefüllt mit gesundem und deshalb leider kinderunfreundlichem Bio-Süßigkeiten. Nein – es geht um die Zeit, die sie für uns geopfert, die Freunde, die sie für uns zurückgelassen, den Tennis- oder den Kegelclub, den sie für uns verlassen haben und die G-Klasse, die sie sich als Rentner unseretwegen nicht kaufen können. Bei letzterem geht es mehr um Geld als um Zeit. Dazu muss ich sagen, dass ich ein für unsere Verhältnisse besonders teures Kind war mit bestimmt 5 verlorenen Turnbeuteln pro Woche, 3 im Bus liegen gelassenen Schwimmtaschen im Monat, zahlreichen Rücktransporten wegen Heimweh im Jahr und einer wirklichen mühsamen Dekade ins Erwachsenenalter. Ätzend, aber ich wurde dennoch geliebt.
Meine Großeltern haben alles für uns getan und das, obwohl es in den meisten Zeiten alles andere als leicht war. Sie haben auch dafür gesorgt, dass wir so wenig wie möglich merken, wie schwer es eigentlich ist. Auch wenn ich manchmal jetzt im Nachhinein lieber das Große Ganze gesehen und mich dementsprechend verhalten hätte, verstehe ich, dass sie uns beschützen wollten. Sie kommen aus einer anderen Zeit, waren Flüchtlinge und mussten sich hier ein neues Leben aufbauen. Sie hatten diese sorgenfreie Kindheit nicht.
Ich rede von meinen Großeltern, obwohl das hier „Hey Nana“ heißt. Aber meine Omi ist schwer zu trennen von meinem Opi. Sie sind – ohne Floskel-drop – ein Herz und eine Seele und die besten Freunde für’s Leben. Ohne „Schieter“ geht’s eben nicht. „Wenn Opi mal zu lange im Keller ist oder ich nicht weiß, wo genau er im Haus ist, vermisse ich ihn schon“, sagte Omi gerade erst gestern an ihrem 55. Hochzeitstag als mein Bruder sie fragte, wie das denn so sei nach 55 Jahren Ehe.
Aber so sehr ich meinen Opa auch bewundere für seine unnachahmliche Art, sein familiäres Lebenswerk und dafür, dass er IMMER NOCH für meine Familie arbeitet – meine Omi ist eine Frau und hat für mich als selbsternannte Feministin als eben solche einen besonderen Respektstein in meinem Herzen.
Sie hatte wegen, nennen wir es mal „männlicher Machtasymmetrien“, keine schöne Kindheit.
Deshalb ist sie mit 18 von Zuhause abgehauen und hat sich ein Zimmer genommen. Sie hat so hart gearbeitet, dass sie bald die Einkaufsabteilung der Norddeutschen Lederwerkstätten leitete. Hallo? Wie super? Hätte sie dann nicht einen Mann kennengelernt, den sie wirklich liebt, wäre sie auch nicht Mutter geworden. Da bin ich mir sicher.
Heute ist meine Omi eine wirklich herausragend gut gekleidete Dame mit Anstand, Stimme und ordentlich Power, für die kein Weg zu weit und kein Gedanke undenkbar ist. Übrigens auch keine Taten unmachbar – letztes Jahr hat sie sich mit uns Frauen aus der Familie tätowieren lassen. Vielleicht ist meine Omi die erste Frau der Welt, die sich mit Mitte 70 ihr erstes Tattoo stechen lassen hat? Wer weiß. Ich war unfassbar stolz.
Manchmal, wenn ich mit meiner Omi telefoniere, merke ich, wie sie nicht ausreichend stolz auf sich ist und vielleicht sogar Dinge bereut. Das macht mich dann traurig, weil ich sie so wunderbar finde. Aber dann denke ich an die ganzen relativen Freiheiten, die wir Frauen heute haben und die Einflüsse, die dadurch auf eine Frau wie meine Omi einwirken. Ich denke an Überforderung in einer viel zu schnell gewordenen Welt. An unerfüllte Träume und ungelebte Fantasien. An alte Grenzen und viele eingegangene Kompromisse. Ich verstehe sie dann besser. So gut ich es eben schon kann. Und andersrum versucht sie, mich zu verstehen. Und mit mir meine Generation: „Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist mit all diesen Geräten und dem Internet und all den vielen Möglichkeiten.“ Nein, ist es nicht. Und ich wünsche mir, dass meine Omi mich weiterhin nicht dafür verurteilt, dass ich genau wie sie zwischendurch überfordert bin mit alldem. Noch viel mehr wünsche ich mir aber, dass sie anerkennt, dass sie viele kleine und große Entscheidungen im Leben getroffen hat, die sie zu einer bemerkenswerten Frau machen und zu einem wirklichen Vorbild – vor allem für meine Geschwister, meine Freund*innen und allen voran mich.
Heute ist Sonntag und sie wird mich noch anrufen. Ich frage sie dann, was sie an mir mag und was sie mir für mich wünscht.
Sie hat angerufen und ich muss nicht beleidigt sein. An mir mag sie am liebsten, dass ich mir meine Fröhlichkeit bewahre, egal wie schwierig es ist, dass ich immer einen Weg finde, der mich weiterbringt und mich aus alles schweren Situationen immer wieder erfolgreich rausmanövriere. Ja, das hab ich von Omi – und ihrer Tochter, meiner wunderbaren Mama. Sie wünscht mir, dass ich mich nicht abhängig mache und immer meinen Weg gehe. Keine Sorge, sage ich. Und auch da scheint es Parallelen zu geben, denn zum Schluss frage ich sie, was sie sich für sich wünscht: „Selbstständig bleiben so lange es geht. Keine Putzfrau, keine Pflege. Ich will das alleine schaffen.“ Ich habe keine Zweifel.