Das Telefon klingelt, Klara hört es erst spät. Als sie abnimmt, erzählt sie, sie wäre gerade im Garten gewesen und, dass der Herbst nun allmählich einkehre. Sie fragt, wie es uns so ginge. Denn drei ihrer Enkel – also meine zwei Brüder Benno und Carlo und ich – sind seit ungefähr sieben Monaten auf Bali „gestrandet“, zum einen wegen Corona und zum andere aber auch, weil wir von hier aus arbeiten. Carlo musiziert, Benno organisiert und ich male. Das hat Klara verstanden und auch, das wir spätestens an Weihnachten wieder zuhause sind. Sie erzählt, dass die Kinder meiner Schwester immer größer würden und dass es schön sei, sie aufwachsen zu sehen, eine neue Generation. Perfekter Zeitpunkt, um nun die erste Frage zu stellen, die ich mir für diesen Hey-Nana-Beitrag notiert habe – und mir bereits unter den Fingernägeln brennt.
Was hat sich in den letzten Generationen für dich geändert? Was kann meine Generation von deiner lernen?
Weißt du Jule, bei uns hat sich so viel geändert. Von unserer Kindheit an bis über die Zeit deiner Eltern, da hat sich sooo viel geändert – und so viel darf sich in und nach eurer Generation nicht mehr ändern, sonst ist die Umwelt komplett kaputt.
Du meinst, es wird für die Erde immer schlimmer?
Das Heute hat viele Vorteile, aber für die Natur viele Nachteile. Ich hab schon oft zu deinem Vater gesagt: ‘Unsere Generation hat die Umwelt nicht kaputt gemacht, das ist erst seit der Industrie, das der Abfall und alles so gewachsen ist. Seither geht es mit der Natur abwärts.’ Es hat also alles seine zwei Seiten.
Ja, das sehe ich auch so. Die Vor- und Nachteile unserer heutigen Welt. Wärst du gerne nochmal jung?
Ich möchte jetzt nicht mehr jung sein. Ich bin froh, dass ich so alt geworden bin und ja, auch einfach jetzt alt bin. Wir hatten unsere Zeit, wir passen nicht mehr hier her. Zumal auch viele meiner Generation nicht mehr leben. Es leben einfach nicht mehr viele, wenn man so alt ist.
Wenn alle Freunde und Geschwister langsam wegsterben… Fühlst du dich einsam?
Nein, ich hab ja noch euch, die Familie. Aber wenn man keine gute Beziehung zu den Enkeln und den Kindern hat, dann ist man verlassen. Also wenn man so alt wird. (lacht)
Was können die Jungen von den Alten lernen?
Also was ich immer sage, Jule, ist: Ihr hattet in eure Kindheit bzw. in eurem Leben nie sparen müssen. Ihr hattet viel und manches auch im Überfluss. Zumindest war immer etwas da. Und wenn da mal eine schlechte Zeit kommen würde, das sage ich immer, da würden die jungen Leute sich sehr schwer tun, weil sie es nicht gelernt haben. Wenn man alles gehabt hat, dann fällt es einem eben schwer, darauf zu verzichten.
Und noch was ?
(Überlegt eine Weile) Ja, man muss zufrieden sein… Und zueinander gut sein, und das seid ihr ja auch. Und vielleicht den Herrgott auch nicht vergessen.
Den Herrgott, ja…?
Ja! (lacht) Der steht über allem. Und der passt auf euch auf. Ich bete jeden Tag für euch und glaube, dass das auch einen Einfluss hat. Und wer hätte gedacht, dass ein Virus die ganze Welt auf den Kopf stellt und die Industrie und alles durcheinander bringt? Im 21. Jahrhundert, da sind doch alle so klug und gescheit, selbständig und können alles. Aber daran muss man auch denken. Das man nicht immer alles selbst regeln kann, dass es auch Dinge gibt, die über dem Alltag und über der ganzen Zeit in der wir leben, stehen. So was war ja noch nie?! Jule, du wirst lachen, … ach – jetzt hören wir auf!
Nein Oma, ich find es voll interessant!
Das bereden wir wann anders. Wie spät habt ihr denn? Ist es schon abends?
Ja, wir sind sechs Stunden voraus. Es ist halb fünf am Abend.
Bist du denn alleine? Sind dein Brüder in deiner Nähe?
Die beiden wohnen nicht weit entfernt von mir, aber ich bin gerade alleine in meinem Atelier und male.
Ach, toll! Du hast ja bald eine Ausstellung, hat mir deine Schwester erzählt, dann bist du also auch in Bali schon eine Künstlerin. Eine internationale Künstlerin. Gut (lacht). Mensch, was wir für Künstler in der Familie haben!
Oma, du bist doch auch ‘ne Künstlerin! Du bist doch so gut im Schreiben!
Ich hab das aber nicht gelernt. Das, was ich kann, ist die Erfahrung vom Leben, mehr nicht. Meine Mutter hatte zu mir gesagt, später als ich über zwanzig war und auf dem Hof nicht mehr so gebraucht wurde, jetzt kannst du ja einen Beruf lernen. Da wollte ich dann aber weiter arbeiten, etwas verdienen, das man auch was hat. Und damals war es auch nicht so mit Kindergärten und allem, da waren die Frauen halt zuhause mit den Kindern und die Männer haben gearbeitet. Das kam erst später mit der Industrialisierung und in der Stadt, das Frauen und Männer beide arbeiten gegangen sind. Aber in der Landwirtschaft, da kam man nie auf die Idee… weil man gebraucht wurde.
Unsere andere Omi hatte ja einen Beruf gelernt. Sie war Lehrerin, wie der Opi und sie lebten am Stadtrand mit ihren Töchtern, alle konnten studieren, das war anders als bei euch im Dorf. Was hättest du studiert, wenn du die Möglichkeit gehabt hättest?
Ich hätte etwas mit Handarbeit gemacht. Handarbeitslehrerin oder Berufe, in denen man mit den Händen etwas erschafft. So wie du das auch machst, das hätte mir auch gefallen.
Ich bin auch sehr dankbar, dass ich das tun kann. Es liegt also ganz viel am familiären Hintergrund, welche Möglichkeiten man hat?
Der Herr Professor hatte mich damals auch gefragt, was ich studiert hätte, wenn ich seine Tochter gewesen wäre und aus solchen Kreisen gekommen wäre, und ich habe ihm damals ohne Nachdenken geantwortet: Schriftstellerin! Damals in der Nachkriegszeit hatte es sooo viele Schicksalsschläge gegeben, da hatte man sich viel damit beschäftigt, darüber hätte ich geschrieben. Und weißt du was, Jule, der Professor hat mich damals nicht ausgelacht.
Also du hättest gerne über den Krieg geschrieben? Deine Erfahrungen und Erlebnisse, die dich geprägt haben?
Ich hätte gern, ja! Aber ob das jemand gelesen hätte, ist eine andere Frage. (lacht)
Aber du musstest auch kämpfen und auf vieles verzichten, als du damals 5 Jahre in London gelebt und studiert und nichts verdient hast und alles so teuer war. Das war schon auch eine schwere Zeit, nicht wahr?
Das stimmt. Es war nicht einfach. Aber ehrlicherweise auch eine der schönsten Zeiten meines Lebens – sehr intensiv und hart, aber schön, weil ich genau das machen durfte, was mir am Herzen lag. Gestalten, kreieren, Design, Kunst.
Und dein Ehrgeiz und Fleiß waren groß genug, dass du die Jahre durchziehen konntest. Der Fleiß hat sich ausgezahlt.
Ja, der waiblerische Fleiß und die künstlerische Ader der Maiers Familie. Was haben denn deine Eltern gearbeitet?
Der Bruder meiner Mutter war Studienrat, die Schwester war Lehrerin in Stuttgart, doch die Nazis hatten das Institut verboten. Mein Vater war Bauernkind, sein Vater hatte noch Pferde und eine Kutschen. Da wurde man im Winter mit der Schlittenkutsche zum Bahnhof geführt.
Kaum mehr vorzustellen. Und das ist gerade mal vier Generationen her.
Man hatte noch Knechte, weil es die ganzen Maschinen, die es heute gibt, noch gar nicht gab. Und da war auch das Fleisch noch gut, weil die Tiere besser gehalten wurden und man nicht so viel konsumiert hatte. 100 Ferkel im Stall oder Hühner, das hätte sich kein Bauer getraut… Also die Tiere tun mir schon leid heute, das ist schlimm. Da geht es allein um’s Geld. Das war früher auch nicht so.
Du sagst es, Oma. Die Tierhaltung, unsere Erde, was ist nur passiert? Das ist auch der Grund, warum ich vegan geworden bin. Würdest du sagen, früher war alles besser?
Das kann man so nicht sagen. Immerhin hatten wir ja auch die Nazizeit, die zwölf Jahre gedauert hat und den große Krieg usw. Da kann man von besser nicht reden.
Das muss eine schlimme Zeit gewesen sein…
Die, die den Mund aufgemacht haben, sind an die Fronten geschickt worden. Es war keine ehrliche Zeit. Keine Demokratie und nichts durch Hitler … Aber Jule, jetzt hören wir auf. Sag bitte viele Grüße an deine Brüder und passt auf euch auf. Und kommt bald wieder. Dass wir uns nochmal sehen.
Na klar, Omi. Wir kommen bald.
Bali ist schon eine schöne Insel. Ich habe letztens im Fernsehen etwas darüber gesehen. Eine richtige Südseeinsel.
Ja, es ist wirklich sehr schön hier. Das Meer, der Dschungel, die Reisfelder. An welche Orte bist du denn schon in deinem Leben verreist?
Zum Urlaub machen? Also wir waren meistens in Österreich, im Gebirge. Und dann war ich einmal in Südfrankreich. Und dann war ich einmal in Rom, am Vatikan, zu meinem 70. Geburtstag. Das hatten mir meine Kinder damals geschenkt. Und sonst war ich nirgends im Ausland. Weißt du, mein Neffe war doch mal für ein paar Jahre an einem Gymnasium in Kairo, später war er in Hong Kong an einer Schule und hatte uns immer eingeladen, ihn mal zu besuchen.
Und warum habt ihr das nie gemacht?
Der Opa hatte nie Zeit und meinte immer, später, wenn wir älter sind. Und mein Neffe hat von den Pharaos erzählt und den Gräbern und wir hätten nur kommen müssen und uns um nichts kümmern, aber… ist halt nichts geworden. Weißt du, verschieben ist auch so eine Sache. Dann lebt ein Teil nicht mehr und dann ist es schon zu spät.
Denkst du das Leben vergeht schnell?
Ja, das tut es.
Also Julchen, jetzt hören wir aber auf. Das Gespräch wird sonst zu teuer. Du machst das schon richtig …Passt auf euch auf und kommt bald wieder. Lebt wohl, gesund und zufrieden. Bis bald, ist ja nicht mehr so lange. Und kommt gesund wieder!
Sie legt auf, ich den Pinsel zur Seite und gehe kurz in mich.