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Purista & Oma Gertrud:

„Was heißt schon Glück, mein Mädchen?“


Seit er von uns gegangen ist, schläfst du nachts nur noch auf dem Sofa. Der Fernseher läuft leise bis zum Morgengrauen durch, damit du dich nicht einsam fühlst. Dein kleiner Hund Bobby hält treu die Stellung, kuschelt sich unter der braunen Wolldecke an deine Füße – und so wartet ihr gemeinsam, bis die Morgensonne wieder etwas Licht ins Dunkel bringt. Es gibt Stunden, in denen du deine Trauer vergisst. Stunden, niemals Tage. Morgens, abends und in der Nacht ist die Sehnsucht am größten.

Tagsüber bekommst du viel Besuch: Nachbarn, Freunde, Verwandte lassen sich auf ein Tässchen Filterkaffee einladen, manchmal raffst du dich sogar auf und backst einen deiner fabelhaften Kuchen. Aber Leidenschaft steckt keine mehr hinter deinem einstigen Hobby, denn der Appetit ist dir längst vergangen. Beim Karten spielen oder quatschen lässt du es dir nicht anmerken, dass du innerlich zerbrichst. Du reißt dich zusammen, schließlich muss das Leben weitergehen.

„Ein richtiges Leben ist das nicht mehr“, erzählst du mir am Telefon, klingst müde, abgeschlagen, lustlos. Vergesslich bist du auch geworden, kopflos, bist oft nicht bei der Sache, sondern in Gedanken. Ich kann es verstehen.

Hey Nana - Purista & Oma Gertrud

Wozu über das Wetter, die Benzinpreise oder die Landtagswahlen sprechen, wenn du nirgends mehr einen Sinn siehst. Mit wem sollst du jetzt deine Gedanken teilen?

Wie gerne würde ich dir diesen Schmerz abnehmen. Dich in meine Arme schließen und dir sagen, dass alles wieder gut wird. So wie du es früher bei mir getan hast, als ich hinfiel und mir wehtat, später beim Liebeskummer und während anderer schwieriger Lebensphasen. Du warst mir immer wichtig und bist es auch jetzt noch. Bist mein zweites Zuhause. Unzählige Ferien haben meine Schwester und ich bei dir und Opa verbracht. Du hast mir gezeigt wie man den weltbesten Schweizer Wurstsalat zubereitet, hast mir sämtliche Klamotten geflickt und mir immer wieder heimlich Geld zugesteckt – ohne, dass Opa je davon erfahren hat.

Die Urlaube an der Costa Brava gehören zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen: Jeden Tag mit liebevoll gepacktem Picknick-Korb am Strand verbringen, abends in die kleine Altstadt zum Calamari essen, Ausflüge zu nahegelegenen Sehenswürdigkeiten – und an guten Tagen, gab es sogar zwei Eis für mich. Herrlich!

Du hast dich stets aufgeopfert, deine eigenen Wünsche hintangestellt und warst dein Leben lang bemüht, es jedem recht zu machen. Manchmal sogar ein bisschen zu viel.

Aber du konntest nicht anders. Freunde und Familie zählten immer mehr als du selbst. Das hat Opa gehasst. Ihr habt euch sehr viel deshalb gestritten. Aber nicht nur deshalb, sondern auch darüber, wer den Rasen mähen, Staub saugen oder einkaufen gehen soll. Manchmal hat er dich regelrecht genervt und du warst froh, ihn mit Bobby zum spazieren gehen zu schicken.
Und jetzt ist er weg und du wünschst dir nichts sehnlicher, als noch einmal mit ihm streiten zu können. „Ich erinnere mich nur noch an die guten Momente, alles andere ist wie weggeblasen. Jetzt denke ich, wir hätten viel öfter gemeinsam ausgehen sollen, mehr reden und das Leben genießen. Doch erst wenn der andere weg ist, weiß man, was man an ihm hatte.“ Und ich frage mich: Wie kann man nach über sechzig Jahren Beziehung, nach über 20.000 miteinander verbrachten Tagen, allein klarkommen? Wie füllt man den Alltag, die freie Zeit? Ich bin genauso hilflos wie du.

Doch eines wird mir klar: Liebe hat kein Ablaufdatum. Wahre Liebe ist immer und allgegenwertig. Man sollte sie schützen wie ein rohes Ei, sie jeden Tag pflegen und sich wieder und wieder daran erinnern, dass sie unser höchstes Gut ist. Auch wenn das geflügelte Wort „Carpe Diem“ mittlerweile ziemlich abgedroschen klingt, ist es doch wahr.

Jeder Tag ist eine neue Chance, geliebten Menschen zu sagen, wie wichtig sie uns sind.

Das Leben ist zu kurz für den richtigen Moment. Und auch wenn Opa nicht mehr hier ist, hat er einen besonderen Platz in unseren Herzen. Oma, ich bin stolz auf dich. Stolz, dass du maßgeblich daran beteiligt warst, dass ich heute bin, wer ich bin. Jetzt ist es an mir, für dich da zu sein, zuzuhören, dich abzulenken. Du hast das erste Mal in deinem Leben Liebeskummer. Und das mit achtzig Jahren. Aber du bist eine starke Frau, du schaffst das! Vermutlich hilft es, Udo Jürgens zu glauben, der so treffend gesungen hat: „Wenn das Schicksal uns alles nimmt, vertrau der Zeit.“

Das ist es, was du nun von mir lernen kannst: Hoffnung zu haben! Denn ich weiß, dass der Schmerz weniger wird und die Tage leichter, dass du wieder aus vollem Herzen lachen wirst, dass der Appetit zurückkommt und vielleicht sogar der Spaß am Backen. Die Erinnerungen an Opa werden liebevoll sein und Geborgenheit schenken. Und irgendwann wirst du wieder in einem richtigen Bett schlafen: mit einem gemütlichen Kopfkissen und einer Decke, unter der sich dein Bobby zu dir kuscheln kann.

Diese OMAge stammt von Purista Merk. Sie ist Redakteurin und Social Media Managerin, lebt mit ihrer Familie am Ammersee bei München und war schon immer ein Oma-Kind. Sie ist gerne unterwegs, packt Koffer wie ein Profi und schreibt auch am liebsten über diese beiden Themen: puristamerk.de